von Rudolf Buschmann, Lehrbeauftragter Universität Kassel, Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht

 

Divide et Impera / Teile und Herrsche! Das kannten schon die alten Römer, und in manchen Betrieben ist es immer noch so. Der Entwurf will das ändern. Auch im Jahr 2022 kann von Gleichstellung aller im und für den Betrieb Beschäftigten noch nicht wirklich die Rede sein. Zwar gibt es positive Entwicklungen beim Entgelt und bei Karrierechancen; allerdings eher im „Schneckentempo“. Deshalb sollten die Organisationsvorschriften im BetrVG und die Handlungsmöglichkeiten für Betriebsräte bis hin zu Mitbestimmungsrechten deutlich verbessert werden. Informations- und Beratungsrechte allein reichen nicht.

Mitbestimmung zur Herstellung von Entgeltgleichheit

 

Schon bisher gab es ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu Fragen der betrieblichen Lohngestaltung. Dessen Durchsetzung erwies sich aber oft als schwierig. So hatte die Rechtsprechung die Mitbestimmung über den Zweck der Leistung und die Ausgestaltung des begünstigten Personenkreises beschränkt. Ein neuer § 87 Abs. 1 Nr. 10 a BetrVG sieht nun ein eigenständiges Mitbestimmungsrecht für Maßnahmen zur Herstellung von Entgeltgleichheit vor. Entgelt ist im weitesten Sinne zu verstehen und umfasst alle Formen von Vergütung, Haupt- und Nebenleistungen.

 

Auch das Diskriminierungsverbot versteht sich umfassend im Sinne des in der Neufassung erheblich ausgeweitet § 75 BetrVG. Hier wurden nämlich sämtliche Diskriminierungsverbote aus Art. 21 der europäischen Grundrechtecharta aufgenommen – eine überfällige Anpassung an vorrangige europäische Grundrechte. Das Mitbestimmungsrecht konkretisiert zugleich den Handlungsauftrag an alle betrieblichen Akteure zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung bei der Entgeltgestaltung, wie ihn auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Entgelttransparenzgesetz vorsehen. Und die tariflichen Mindestbedingungen bleiben garantiert. Der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 (neue Hausnummer: Abs. 4) bleibt erhalten.

Mitbestimmung über die Personalplanung

 

Bisher hatten Betriebsräte zur Personalplanung bloße Informations- und Beratungsrechte. Sie konnten Vorschläge machen, sie aber nicht in einem Mitbestimmungsverfahren durchsetzen. Das soll sich nun ändern. Nach der vorgeschlagenen Neuformulierung unterliegt in Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitnehmer*innen die Personalplanung und -bemessung der Mitbestimmung des Betriebsrats. Und das gilt dann auch für Maßnahmen, die nach der bisherigen Fassung des § 80 BetrVG (Abs. 1 Nrn. 2a, 2b, 4 und 7) nur zu den allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats gezählt wurden, ohne dass bisher Betriebsräte hierfür ein besonderes Mitbestimmungsrecht für sich in Anspruch nehmen konnten.

 

Im Einzelnen handelt es sich um die Förderung der „Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung aller [!, also nicht nur m/w] Geschlechter, insbesondere bei der Einstellung, Beschäftigung, Aus-, Fort- und Weiterbildung und dem beruflichen Aufstieg“; Förderung der „Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit“; Förderung der „Eingliederung von Menschen mit Schwerbehinderung einschließlich der Förderung des Abschlusses von Inklusionsvereinbarungen nach § 166 SGB IX und sonstiger besonders schutzbedürftiger Personen“; Förderung der „Gleichberechtigung ausländischer Beschäftigter in Betrieb und des Verständnisses zwischen ihnen und den deutschen Beschäftigten“ und Beantragung von „Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Betrieb“.

 

Hier erscheint es sinnvoll, in den Verweis auch § 80 Abs. 1 Nr. 6, die Förderung der „gleichberechtigten Beschäftigung älterer Beschäftigter“ einzubeziehen. Für die Durchsetzung gilt das normale Mitbestimmungsverfahren, gegebenenfalls also Anrufung der Einigungsstelle, sofern erforderlich deren gerichtliche Bestellung, Versuch einer Einigung in der Einigungsstelle, sofern erforderlich Spruch der Einigungsstelle.

 

Gleichstellungsausschuss

 

Die besondere Kompetenz der Betriebsräte für Gleichstellung und Antidiskriminierung soll auch in ihrer organisatorischen Struktur zum Ausdruck kommen. Aus diesem Grunde enthält § 28 Abs. 3 des Entwurfs eine sog. Sollvorschrift, nach der in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmer*innen insbesondere ein paritätisch besetzter Gleichstellungsausschuss und ein Umweltausschuss gegründet werden sollen. Wie schon oben beschrieben, ist auch hier der Gleichstellungsbegriff umfassend zu verstehen.

 

Der Gleichstellungsausschuss fasst all die Aufgaben an, die sich aus den oben genannten Handlungsaufträgen bzw. Diskriminierungsverboten ergeben. Mit Blick auf die in § 80 Abs. 1 Nrn. 2a geforderte Geschlechtergleichstellung wird zugleich der bisher schon in § 15 Abs. 2 für die Wahl von Betriebsratsmitgliedern und in § 25 Abs. 2 für deren Nachrücken bekannte Schutz des Minderheitsgeschlechts ausgebaut. Dieser Schutz, d. h. die in § 15 geregelte Mindestvertretung des Geschlechts, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, soll dann auch gelten für den Betriebsausschuss nach § 27 Abs. 1, weitere Ausschüsse nach § 28 Abs. 1, Freistellungen nach § 38 Abs. 1, Bestellung und Zusammensetzung des Wirtschaftsausschusses nach § 107 Abs. 1 BetrVG.

Prozessuale Durchsetzung

 

Und zuletzt noch eine für die praktische Durchsetzung bedeutsame prozessuale Verstärkung: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass in § 23 Abs. 3 BetrVG das Höchstmaß des Ordnungs- und Zwangsgeldes von 10.000 € auf 50.000 € heraufgesetzt wird. Diese Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind vorgesehen, wenn ein Arbeitgeber einer ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Unterlassungs- oder Duldungspflicht zuwiderhandelt oder ihm eine derart auferlegte Handlung nicht durchführt. Was hat dieses Verfahren mit Antidiskriminierung zu tun?

 

Sehr viel! Das Verfahren nach § 23 Abs. 3 BetrVG wird nämlich auch in § 17 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, AGG, in Bezug genommen. Es kommt auch dann zur Anwendung, wenn ein Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft bei einem groben Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften aus dem AGG entsprechende Unterlassungs- oder Handlungspflichten gegen diesen gerichtlich geltend machen. Die prozessualen Möglichkeiten dieser besonderen Verfahrensform sind in der Praxis – auch wegen der bisher begrenzten Sanktionen – längst noch nicht ausgeschöpft worden. So unterstützt der Entwurf gleichzeitig die Ziele des AGG, nämlich (so § 1 AGG) Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.