von Prof. Dr. Marlene Schmidt, Rechtsanwältin, Partnerin von APITZSCH SCHMIDT KLEBE Rechtsanwälte, Frankfurt am Main

 

Die Voraussetzungen der Errichtung eines Konzernbetriebsrats regelt § 54 BetrVG (aktuelle Fassung). Das Bundesarbeitsgericht (im Folgenden: BAG) legt § 54 BetrVG (aktuelle Fassung) so aus, dass ein Konzernbetriebsrat nur errichtet werden kann, wenn das herrschende Unternehmen seinen Sitz im Inland hat oder eine Teilkonzernspitze im Inland besteht. Weder das Ergebnis noch seine Begründung vermögen zu überzeugen (vgl. Schmidt, NZA 2020, 492-494 m.w.N.), die von der Literatur entwickelten alternativen Lösungsvorschläge (Wenckebach, in: DKW, BetrVG, 18. Aufl. 2022, § 54 Rn. 23-28 m.w.N.) haben ihrerseits das BAG bislang nicht überzeugt.

 

Konzernbetriebsrat bei der inländischen Teilkonzernspitze

 

Umso erfreulicher ist, dass der BetrVG-E dieses Thema aufgreift und in dem neuen § 54 Abs. 3 BetrVG-E wie folgt lösen möchte: Befindet sich die Konzernspitze im Ausland, so ist der Konzernbetriebsrat bei der inländischen Teilkonzernspitze zu bilden. Besteht im Inland keine Teilkonzernspitze, so ist der Konzernbetriebsrat bei der nachgelagerten Leitung für im Inland liegende Betriebe oder Unternehmen zu bilden. Gibt es keine nachgeordnete Leitung im Inland, benennt die zentrale Leitung ein Unternehmen im Inland als ihre Vertretung.

 

Wird keine Vertretung benannt, ist der Konzernbetriebsrat bei dem Unternehmen zu bilden, in dem die meisten Arbeitnehmer*innen beschäftigt sind. Satz 1 des neuen Absatz 3 entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BAG. Satz 2 bis Satz 4 sind § 2 Abs. 2 EBRG nachgebildet. Dabei fällt auf, dass der Wortlaut sich eng an § 2 Abs. 2 EBRG orientiert, einerseits zu eng, andererseits nicht eng genug.

 

Um mit letzterem anzufangen: Satz 2 spricht von „nachgelagerter Leitung“, Satz 3 von „nachgeordneter Leitung“. Beide Begriffe sind dem BetrVG bislang unbekannt und spielen – soweit erkennbar – auch an keiner anderen Stelle im Entwurf eine Rolle. § 2 Abs. 2 EBRG verwendet den Begriff der nachgeordneten Leitung. Eine „nachgelagerte“ Leitung, wie sie in Satz 2 des neuen Absatz 3 erwähnt wird, kennt das EBRG nicht. Es dürfte sich hierbei um ein Redaktionsversehen im BetrVG-E handeln und sowohl in Satz 2 als auch in Satz 3 die „nachgeordnete Leitung“ gemeint sein.

 

Entscheidend ist die “zentrale Leitung”

 

Zu eng an den Wortlaut des § 2 Abs. 2 EBRG lehnt sich der BetrVG-E möglicherweise bei der Verwendung des Begriffs „zentrale Leitung“ in Satz 3 an. Hierbei handelt es sich um einen Begriff, der dem BetrVG bislang unbekannt ist und der – soweit erkennbar – auch an keiner anderen Stelle des BetrVG-E verwendet wird. Dass die in § 1 Abs. 6 EBRG enthaltene Legaldefinition für das BetrVG übernommen werden sollte, erscheint fraglich.

 

Danach ist die zentrale Leitung im Sinne des EBRG „ein gemeinschaftsweit tätiges Unternehmen oder das herrschende Unternehmen einer gemeinschaftsweit tätigen Unternehmensgruppe“. Im Kontext des § 54 BetrVG kommt nur der letzte Definitionsteil in Betracht, also: das herrschende Unternehmen einer gemeinschaftsweit tätigen Unternehmensgruppe. Damit aber wäre der Geltungsbereich des Satz 3 auf gemeinschaftsweit tätige Unternehmensgruppen beschränkt. Man sollte überlegen, den Begriff durch den in Satz 1 bereits verwendeten und im deutschen Recht eindeutigen Rechtsbegriff der „Konzernspitze“ zu ersetzen.

 

Zu Satz 4 wäre noch anzumerken, dass man klarstellen könnte, dass der Konzernbetriebsrat bei dem Unternehmen im Inland zu bilden ist, in dem „im Inland“ die meisten Arbeitnehmer*innen beschäftigt sind. Zu überlegen wäre ferner, einen Satz anzufügen, der § 2 Abs. 2 S. 4 EBRG für den Kontext des Konzernbetriebsrats aufgreift, etwa: „Die in Satz 2 und Satz 3 genannten Stellen gelten als inländische Teilkonzernspitze“.

 

Konzernbetriebsrat kann Zuständigkeit durch Rahmenvereinbarungen ausfüllen

 

Die Zuständigkeiten des Konzernbetriebsrats werden in § 58 Abs. 3 und Abs. 4 BetrVG – entsprechend denen des Gesamtbetriebsrats in § 50 BetrVG – um zwei Varianten erweitert: Der Konzernbetriebsrat kann seine Zuständigkeit auch ausüben, indem er eine Rahmenvereinbarung trifft, die durch die in dieser Rahmenbetriebsvereinbarung bezeichneten Gremien ausgefüllt wird. Dieser Regelungsvorschlag kommt einem weit verbreiteten Bedürfnis der Praxis entgegen.

 

Und der neue § 58 Abs. 4 BetrVG-E besagt: Solange der Konzernbetriebsrat von seiner Zuständigkeit gem. § 58 Abs. 1 BetrVG keinen Gebrauch macht, sind die Gesamtbetriebsräte zuständig. Auch hier hat der Entwurf die Rechtsprechung des BAG übernommen (BAG v. 14.2.2007, 7 ABR 26/06, Rn. 62), die allerdings für solche Konstellationen ergangen ist, in denen ein Konzernbetriebsrat nicht existiert. Der neue § 58 Abs. 4 BetrVG erscheint mir jedoch ebenso problematisch wie die genannte Rechtsprechung: Die originäre Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats setzt nach § 58 Abs. 1 BetrVG gerade voraus, dass die Angelegenheit nicht durch die Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden können (vgl. Schmidt, NZA 2020, 492, 494).

 

§ 58 Abs. 4 BetrVG wäre damit im Wesentlichen in solchen Konstellationen relevant, in denen der Arbeitgeber konzerneinheitlich eine freiwillige Leistung einführen möchte (und damit nach der Rechtsprechung des BAG die originäre Zuständigkeit begründet) und der existierende Konzernbetriebsrat der Auffassung ist, dass nicht er, sondern die Gesamtbetriebsräte die Angelegenheit regeln sollen. Ob hierfür ein Bedürfnis besteht, ist mir unklar.

 

Weitere Änderungsvorschläge

 

Neue Regelungen, die den Konzernbetriebsrat betreffen, sind ferner in § 3 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 sowie § 3 Abs. 1a BetrVG-E vorgesehen. Durch Tarifvertrag soll nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG für Konzerne mit Matrixorganisation die Bildung von Konzernbetriebsräten bei Funktions- bzw. Geschäftsbereichen bestimmt werden können. Das soll auch für deren Untereinheiten gelten, unabhängig von einer konzernübergreifenden Organisation, wenn deren Leitung Entscheidungen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten trifft.

 

Ferner soll durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG-E klargestellt werden, dass als „andere Arbeitnehmervertretungsstruktur“ ausdrücklich auch die Errichtung rechtsträgerübergreifender Gesamtbetriebsräte in Betracht kommt. Dies ist zu begrüßen. Insbesondere wenn Unternehmen gespalten werden, aber weiter in einem Konzern verbleiben, oder wenn nach Unternehmenskäufen viele Betriebe von zwei Konzernunternehmen gemeinsam i.S.v. § 1 Abs. 2 BetrVG geführt werden, entsteht oftmals auf Arbeitnehmerseite der Wunsch, „in alter Besetzung“ in einem Gremium weitermachen zu können und nicht, wie nach dem Gesetz eigentlich vorgesehen, gleichgelagerte oder gleiche Probleme künftig im Konzernbetriebsrat zu lösen – zumal im Konzernbetriebsrat Gesamtbetriebs- und Betriebsratsmitglieder aller Konzernunternehmen vertreten sind, was die Entscheidungsfindung verkomplizieren könnte.

 

§ 3 BetrVG soll zudem um einen neuen Absatz 1a ergänzt werden. Danach wird bei Tarifverträgen nach Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 5 und 8 vermutet, dass die vereinbarte Regelung der sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmerinnen dient, bei Tarifverträgen nach Nr. 7 und 8, dass die Regelung der Zusammenarbeit dient oder diese erleichtert. Auch diese Regelung ist zu begrüßen.