Von Dr. Thomas Klebe

1. Brauchen wir in der Situation in der heutigen Zeit nun auch noch eine umfangreiche Novellierung des Betriebsverfassungsrechts? Haben wir mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der Transformation der Wirtschaft, Umweltzerstörung und der anhaltenden Corona-Epidemie nicht schon genug Konflikte und Probleme? Die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Betriebsräten in den Betrieben klappt doch eigentlich sehr gut. Darüber hinaus werden die vorhandenen Rechte heute von den Betriebsräten oft gar nicht genutzt.

Ja, wir brauchen eine umfangreiche Novellierung unserer Betriebsverfassung, auch wenn die betriebliche Zusammenarbeit überwiegend funktioniert. Gerade die herausragende Arbeit von Betriebsräten in Zeiten von Krisen zeigt, wie wichtig das Zusammenwirken der Betriebsparteien ist. Aber eins darf nicht vergessen werden, wir befinden uns in einer von tiefgreifendem Wandel geprägten Zeit. Dass die Betriebsverfassung funktioniert und krisenfest ist, haben die letzten drei Jahre bewiesen. Dass die Betriebsverfassung auch zukunftsfähig ist und eine moderne Grundlage – auch für digitale Betriebsratsarbeit – bietet und Betriebsräten wirksame Beteiligungsmöglichkeiten bereitstellt, mit denen sie die grundlegenden Veränderungen der Arbeitswelt in Zeiten der sozial-ökologischen Transformationen effizient und teilhabeorientiert bewältigen können, muss bezweifelt werden. Die letzte substantielle Weiterentwicklung liegt über 20 Jahre, bei den Mitbestimmungsrechten über 50 Jahre, zurück. Vor 50 Jahren waren Entwicklungen wie z.B. Transformation, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, das Internet und selbst diese Ausprägung von Globalisierung noch unbekannt. Um den Sinn der Mitbestimmung, die Beschäftigten auf Augenhöhe an den betrieblichen Entscheidungen zu beteiligen, zu erhalten, muss das Betriebsverfassungsrecht jetzt dringend weiterentwickelt werden. Auch wenn teilweise jetzt schon bestehende Rechte nicht immer umfassend genutzt werden, es gibt zu viele Bereiche, in denen das der Fall ist und Betriebsräte trotzdem an ihre (rechtlichen) Grenzen stoßen, wie z.B. aktuell bei Standortentscheidungen von Conti Aachen oder Ford Saarlouis sichtbar wird.

Und ganz grundsätzlich:

Die (betriebliche) Mitbestimmung hat ein bestimmtes Menschenbild als Leitbild: Die Beschäftigten sollen sich nicht wie Chaplin in ein Räderwerk begeben, in dem sie jede Selbstbestimmung aufgeben und als Rädchen im Ganzen nur funktionieren. Sie sollen ihre Seele nicht, wie Henry Ford I gefordert hat, in der Garderobe abgeben. Über Menschen und ihre Schicksale soll prinzipiell nicht ohne ihre Mitwirkung selbst oder durch gewählte Vertreter entschieden werden, wie schon 1970 die vom Bundestag eingesetzte Mitbestimmungskommission formuliert hat – es ist wieder, Zeit mehr Mitbestimmung zu wagen.

2. Die Mitbestimmung in Deutschland ist weltweit sowieso schon einzigartig. Und jetzt soll sie noch erweitert werden? Was bleibt dann noch an unternehmerischen Entscheidungsspielräumen? Ist eine solche Erweiterung in strategischen Fragen nicht sowieso verfassungswidrig?

Es geht um die Erhaltung wirksamer Mitbestimmung. Die strategischen Fragen sind dabei die Kernfragen für Betriebe und Menschen (siehe Ford und Conti). In anderen Ländern gibt es andere Systeme, nach denen z.B. Arbeitskämpfe weniger reglementiert sind. Man kann also nicht nur Systemteile vergleichen.

Nach einer IG Metall-Umfrage haben mehr als die Hälfte der Betriebe keine Zukunfts- und Weiterbildungsstrategie. Das ist verheerend. Es geht schließlich um die Zukunft der Menschen und auch um die demokratische Gesellschaft. Deshalb müssen Betriebsräte und Gewerkschaften hier stärkere Rechte erhalten. Sie müssen Treiber einer zukunftsfähigen Entwicklung des Betriebs werden.

Einschränkungen der unternehmerischen Freiheit sind zulässig, wie auch das Bundesarbeitsgericht und das Bundesverfassungsgericht bei den Ladenschlusszeiten im Einzelhandel entschieden haben, sowie das Bundesarbeitsgericht bei dem Initiativrecht bei Kurzarbeit. Die Einschränkung der unternehmerischen Freiheit ist ja auch und gerade das Ziel der Mitbestimmung. Details muss man dann diskutieren.

3. Starke Betriebsräte erweitern doch ihre Rechte unabhängig vom Gesetz, sie lösen die Themen politisch mit Druck.

Das ist eine beliebte Feststellung, im Ergebnis aber selbst bei sehr starken Betriebsräten häufig eine Legende, ganz zu schweigen von Betriebsräten, die nicht so durchsetzungsfähig sind, weil z.B. die Belegschaft schwieriger oder der Betrieb Teil eines ausländischen Konzerns ist. Und selbst bei Betriebsräten, die die gesetzlichen Möglichkeiten für sich erweitern, ist eine Absicherung wichtig. Die Zeiten können sich ändern.

4. Wie stellen sich eigentlich die Arbeitgeber in diesen Zeiten massiven Wandels auf?

Es ist schon einigermaßen bestürzend, dass von der Arbeitgeberseite und ihren Verbänden so gut wie keine Vorschläge zur Weiterentwicklung der Betriebsverfassung kommen. Offenbar haben sie derzeit vor allem eine Beschleunigung der betrieblichen Prozesse und eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes im Blick.

Sollen das wirklich die Probleme der Gegenwart sein?

Vorschlag: Die Arbeitgeber sollten einfach mal kurzfristig ihre Beißreflexe zurückstellen und den Entwurf daraufhin lesen, ob er nicht auch für sie positive und hilfreiche Lösungen enthält und die Vorschläge diskutieren.