von Dr. Andreas Engelmann, University of Labour, Frankfurt am Main

 

De lege lata existieren für den Betriebsrat in wirtschaftlichen Angelegenheiten nur eingeschränkte Mitbestimmungsrechte. Über den Wirtschaftsausschuss bestehen in Unternehmen mit regelmäßig über 100 Beschäftigten Beratungs- und Unterrichtungsrechte (§ 106 Abs. 1 S. 2 BetrVG – aktuelle Fassung). Inhaltliche Forderungen sind zwar nicht erzwingbar, aber bereits das Verfahren von Unterrichtung und Beratung soll disziplinierend und rationalitätssteigernd auf die Entscheidungsfindung wirken.

Schwache Mitwirkungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten

 

Ähnlich steht es um die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Eine von Unternehmensseite „geplante Betriebsänderung“ löst (in den von § 111 BetrVG – aktuelle Fassung – erfassten Unternehmen) Unterrichtungs- und Beratungsrechte aus. Auf dieser Grundlage ist über einen „Interessenausgleich“ zu verhandeln, um Nachteilsausgleichsansprüchen (§ 113 BetrVG – aktuelle Fassung) zu verhindern. Über die Betriebsänderung muss zwar verhandelt werden, eine Vereinbarung ist aber weder erzwingbar, noch können getroffene Vereinbarungen zwangsweise durchgesetzt werden (a.A. DKW § 112, Rn. 23, LAG München 16.7.1997 – 9 TaBV 54/97; nun wohl auch BAG 21.01.2020 – 1 AZR 149/19).

 

Die disziplinierende Wirkung eines verbindlichen Verfahrens von Beratung, Information und Austausch soll genügen. Erzwingbar ist in wirtschaftlichen Angelegenheiten nur der Sozialplan (§ 112 Abs. 4 Satz 1 BetrVG – aktuelle Fassung). Er hat den Ausgleich der Nachteile zum Gegenstand, die infolge einer Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer*innen entstehen. Auch hier erfolgt der Einfluss auf die unternehmerische Entscheidung mittelbar über den Kostenfaktor „Sozialplan“, nicht durch Einfluss auf die geplante Betriebsänderung. Über das Ob, Wie und Wann der Maßnahme entscheidet der Arbeitgeber.

 

Dahinter lässt sich das Paradigma erkennen, dass der Einfluss des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten zwar nicht ausgeschlossen ist, aber doch mittelbar erfolgen soll. Durch Beratungs-, Unterrichtungs- und Verfahrensrechte kann die Arbeitnehmervertretung versuchen, Einfluss auf Unternehmensentscheidungen zu nehmen; über den Kostenfaktor Sozialplan oder die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten können Maßnahmen attraktiver oder weniger attraktiv gemacht werden. Die Freiheit, eine Maßnahme durchzuführen oder nicht, bleibt jedoch als „unternehmerische Entscheidung“ dem Arbeitgeber vorbehalten. An dieser Stelle enthält der Vorschlag der DGB-Gewerkschaften für ein modernes Betriebsverfassungsgesetz (DGB-Entwurf) einen begrüßenswerten und wohl auch notwendigen Paradigmenwechsel.

 

DGB-Entwurf: Interessenausgleich soll erzwingbar werden

 

Zur Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten sieht der DGB-Entwurf eine Reihe von Änderungen vor, z.B. die Ausweitung der Regelbeispiele für eine Betriebsänderung um Rationalisierung und Auslagerung in § 111 Nr. 1-7 des DGB-Entwurfs und die Klarstellung, dass es sich bei der Aufzählung um Regelbeispiele handelt („insbesondere“). Der reine Personalabbau wird in die Regelbeispiele aufgenommen, womit der Anwendungsbereich des § 112a BetrVG und die Sperrzeit von vier Jahren nach Betriebsaufnahme entfällt. Mitbestimmungsrechte sind in dem Entwurf zudem vorgesehen in § 92a (Vorschlagsrecht zur Sicherung von Beschäftigung) und in § 97 Abs. 2 (Mitbestimmungs- und Initiativrecht bei der Qualifizierung im Betrieb).

 

Am weitesten reicht jedoch fraglos die Neugestaltung des § 112 BetrVG zur Erzwingbarkeit des Interessenausgleichs. Gibt es bezüglich des Ob, Wie und Wann einer geplanten Betriebsänderung bisher nur eine Pflicht zur Verhandlung, sieht der Entwurf vor, dass der Einigungsstellungspruch auch für den Interessenausgleich die Einigung der Betriebsparteien ersetzen soll, § 112 Abs. 5 des DGB-Entwurfs. In § 112 Abs. 6 des DGB-Entwurfs werden Kriterien entwickelt, anhand derer die Einigungsstelle über die Betriebsänderung zu entscheiden hätte.

 

Zu berücksichtigen wären die sozialen Belange der Arbeitnehmer*innen ebenso wie die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Entscheidung, wobei bei Konzernen auf deren Lage abzustellen wäre. Entscheidend wäre, ob „wirtschaftliche Zwänge“ bestehen, „die die Betriebsänderung unvermeidbar machen“. Weil der Interessenausgleich erzwingbar wäre, entfällt in dem Vorschlag der Nachteilsausgleich aus § 113 BetrVG (aktuelle Fassung).

 

Unternehmerische Entscheidung wird Gegenstand erzwingbarer Mitbestimmung

 

Mit diesem Vorschlag wäre nicht mehr nur der Ausgleich von Nachteilen einer Betriebsänderung, sondern die verfassungsrechtlich geschützte „unternehmerische Entscheidung“ selbst Gegenstand der erzwingbaren Mitbestimmung. Das ist von Verfassungs wegen nicht per se ausgeschlossen. Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG, und Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, schützen die „unternehmerische Freiheit“ nicht vorbehaltlos. „Inhalt und Schranken“ des Eigentums „werden durch die Gesetze bestimmt“. Bei der Frage der Verfügung über das Eigentums ist die Sozialpflichtigkeit (Art. 14 Abs. 2 GG) zu berücksichtigen.

 

Dasselbe gilt für die Berufsfreiheit, deren „Ausübung“ durch Gesetz eingeschränkt werden kann (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG). Die „unternehmerische Freiheit“ unterliegt grundsätzlich der Regulierung durch die Gesetze. Der neue § 112 des DGB-Entwurfs wäre eine (weitere) gesetzliche Grundlage für die Regulierung dieser Freiheit. Verfassungsrechtlich lautet die Frage (lediglich), ob der DGB-Entwurf Grundrechte der Arbeitgeber unverhältnismäßig einschränkt, wenn er das Ob, Wie und Wann einer Betriebsänderung zum Gegenstand der erzwingbaren Mitbestimmung macht. Doch wo liegt die Grenze für eine unverhältnismäßige Einschränkung der „unternehmerischen Freiheit“?

 

Soweit das BAG bisher zu Grenzen der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten entschieden hat, geschah das auf Grundlage des bisherigen BetrVG. Auf dieser Grundlage hielt es die Mitbestimmung in sozialen und personellen Angelegenheiten für zulässig, weil sie nur mittelbar auf unternehmerische Entscheidungen wirkt (BAG 31.8.1982, NJW 1983, 953 (Öffnungszeiten); BAG, 21.6.2000 – 4 AZR 379/99 (Mitbestimmung bei Kündigung)) und in wirtschaftlichen Angelegenheiten, solange beim Interessenausgleich kein Einigungszwang besteht (BAG 22.5.1979 – 1 ABR 17/77, NJW 1980, 83). Diese Auslegung des bisher geltenden Gesetzesrechts legt jedoch keine verfassungsmäßige Grenze der Mitbestimmung fest.

 

Mitwirkung der Arbeitnehmer*innen ist zur Verwirklichung des Betriebszweckes notwendig

 

Für die Bestimmung dieser Grenze ist zu beachten, dass es sich um eine Freiheit handelt, die der Unternehmer nur „mit Hilfe anderer, der Arbeitnehmer, wahrnehmen kann, die ebenfalls Träger des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG sind“ (BVerfG 18.12.1985 – 1 BvR 143/83, NZA 1986, 199, 200). Durch die Mitbestimmung beim Interessenausgleich würde stärker als bisher berücksichtigt, dass zur Verwirklichung des Betriebszweckes die Mitwirkung der Arbeitnehmer notwendig ist, die ebenfalls Grundrechtsträger sind. Dementsprechend gebietet die Verfassung nicht, „dass [Mitbestimmungsrechte] die unternehmerische Entscheidungsfreiheit unberührt lassen, sondern lässt Raum dafür, auch durch Einschaltung einer Einigungsstelle nach Maßgabe des § 76 Abs. 5 BetrVG eine Konkordanz“ zwischen Rechten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern herbeigeführt wird (ebd.).

 

Als Maßstab dafür, dass die unternehmerische Freiheit über das verfassungsmäßig Zulässige hinaus eingeschränkt wird, dürfte nach dem Mitbestimmungsurteil des BVerfG gelten, dass das „Zuordnungsverhältnis und die Substanz des Eigentums“ aufgelöst werden (Richardi BetrVG/Annuß § 112, Rn. 10) oder dass eine gesetzliche Regelung nicht nur im Einzelfall die „Funktionsfähigkeit der Unternehmen“ gefährdet (BVerfG 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 593, Rn. 112, 155). Letzteres ergibt sich daraus, dass das BVerfG in der Entscheidung argumentiert, dass die Unternehmensmitbestimmung eine solche Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Unternehmen nicht erwarten lässt und deswegen zulässig ist.

 

Diese hohe Schwelle ist durch den „erzwingbaren Interessenausgleich“ nicht überschritten. Eine generelle Blockadehaltung gegenüber Veränderungen und die Aufrechterhaltung nicht (mehr) wirtschaftlicher Geschäftsmodelle steht vor dem Hintergrund anderer Formen der Mitbestimmung nicht zu befürchten. Vielmehr ist zu erwarten, dass die Beibehaltung eines auch wirtschaftlich erfolgreichen Geschäftsmodells in aller Regel bereits deshalb Triebfeder für die innerbetrieblichen Akteure sein wird, weil nur so eine dauerhafte Sicherung von Arbeitsplätzen ermöglicht werden kann.

 

Mehr Mitsprache des Betriebsrats erhöht Akzeptanz für Maßnahmen des Arbeitgebers

 

Eine Vermittlung durch die Einigungsstelle, wie sie § 112 des DGB-Entwurfs vorsieht, führt – auch dieses Argument diskutierte das BVerfG im Mitbestimmungsurteil – kein strukturelles Übergewicht der Arbeitnehmerseite herbei. Der Vorsitzende der Einigungsstelle ist kein Parteivertreter, sondern nimmt eine neutrale Position ein. Die Einigungsstelle hätte „wirtschaftliche Zwänge“ ausdrücklich zu berücksichtigen, was wegen der vorgeschlagenen gesetzlichen Anordnung in Art. 112 Abs. 6 des DGB-Entwurfs arbeitsgerichtlich überprüfbar wäre.

 

Die Funktionsfähigkeit von Unternehmen ist hier nicht gefährdet und auch die Substanz des Eigentums bleibt erhalten, insbesondere bleiben die Früchte der Nutzung des Eigentums (Arbeitsergebnis/Profit) beim Arbeitgeber. Trotzdem würde der Vorschlag etwas Entscheidendes verändern: Der Betriebsrat bekäme einen wirksamen Hebel, wirtschaftlich nicht zwingende Entscheidungen zulasten der Beschäftigten zu überprüfen und gegebenenfalls zu verhindern.

 

Das verbessert den Schutz der Arbeitnehmer*innen und trägt bei notwendigen Veränderungen des Geschäftsmodells oder beim Abbau von Personal zu einem größeren Konsens bei. Verhandlungen über Betriebsänderungen müssten mit dem erkennbaren Ziel zur Einigung geführt werden. Das ist nicht nur für die betroffenen Arbeitnehmer*innen wünschenswert, sondern dürfte die „Funktionsfähigkeit der Unternehmen“ sogar verbessern. Die Ausweitung der Mitbestimmung auf das Ob, Wie und Wann einer geplanten Betriebsänderung wäre demnach nicht nur wünschenswert, sondern auch verfassungsrechtlich zulässig.