von Jana Wömpner, Referatsleiterin Individualarbeitsrecht beim DGB Bundesvorstand
Nach dem Gesetzentwurf sollen Gewerkschaften das Recht bekommen, auch ohne Wahlversammlung durch das Arbeitsgericht einen Wahlvorstand einsetzen zu lassen. Das erleichtert es der Belegschaft, einen Betriebsrat einzusetzen, so wie dies gesetzlich vorgeschrieben ist.
Wahlversammlungen können unglaublich empowernd sein. Die Belegschaft hat sich gemeinsam überlegt, jetzt sei es endlich an der Zeit einen Betriebsrat zu gründen, und hat mit der Gewerkschaft gemeinsam das Vorgehen besprochen. Sechs Kolleg*innen erklären sich bereit, die Vorarbeit zu leisten und den Wahlvorstand zu machen.
Wahlversammlung: Ein wunderbarer demokratischer Akt
Der Arbeitgeber wird von der Gewerkschaft freundlich aufgefordert, einen Raum für die Wahlversammlung zu Verfügung zu stellen und der Gewerkschaft schon mal den versiegelten Umschlag mit den Daten für die Wählerliste zu überreichen. Der Arbeitgeber kommt dem selbstverständlich nach – denn er ist dazu ja sogar gesetzlich verpflichtet.
Die Versammlung ist schnell durchgeführt, der Wahlvorstand und seine Ersatzmitglieder werden im Block gewählt und nehmen die Wahl freudig an. Alle wissen: Das war ein wunderbarer demokratischer Akt und ein erster und sehr wichtiger Schritt auf dem Weg zum Betriebsrat. Sie sind auch für die gewerkschaftlichen Vertreter*innen toll, um sich im Betrieb bekannt zu machen – ein Verzicht ist auch für uns Gewerkschaften deswegen nicht denkbar.
Bei Wahlversammlungen ist vieles zu beachten
Wahlversammlungen können auch unglaublich nervenaufreibend sein. Ich erinnere mich noch lebhaft an meine erste Wahlversammlung – natürlich direkt im vereinfachten Wahlverfahren. Fast alle der 40 Beschäftigten waren da. Nur leider der bestellte Dolmetscher nicht.
Klar kein Problem, das mache ich gerne in Simultanübersetzung. Italienischen Kolleg*innen und dem Betriebsleiter die Besonderheiten des deutschen Betriebsrätesystems zu erklären, habe ich dann am Ende anscheinend etwas zu gut gemacht, denn 15 der 40 Beschäftigten stellten sich für den Wahlvorstand auf.
Wir hatten natürlich Stimmzettel dabei und irgendwie kriegt man dann nach mehreren Abstimmungen doch das Quorum hin. Doch nachdem die erste Hürde geschafft war, meldet sich der erste Kollege bei mir: Du, eben hat die Ehefrau vom Geschäftsführer, die auch bei uns arbeitet mit abgestimmt, das darf die noch nicht. Im Kopf schnell Risiko-Nutzen-Abwägung: Jetzt alles nochmal oder durchziehen? – Durchziehen!
Die Wählerliste erstellt man mit links vor versammelter Mannschaft – bitte nicht gehen! Wir sind doch noch nicht fertig! – und auch das Wahlausschreiben zu verfassen ist ja ein Klacks – dann noch schnell die Kandidierenden sammeln und die per Handzeichen Stützenden richtig ins Protokoll aufnehmen.
Es war geschafft und rund eine Woche später hatte der Betriebsrat seine konstituierende Sitzung, die Anfechtung blieb zum Glück aus. Das sind Versammlungen, die vor allem für uns Jurist*innen aufregend sind, die Gründung von Betriebsräten aber nicht verhindern. Und in der Regel auch ausschließlich für uns, denn wer, außer uns, versteht schon die Wirrungen und Irrungen der Wahlordnung so ganz genau
Arbeitgeber versuchen oft, Wahlen zu sabotieren
Es gibt aber auch die andere Konstellation, nämlich die, wo die Verhinderung von Betriebsräten schon früh anfängt und die Wahlversammlung keine formelle Bestellung derjenigen zum Wahlvorstand ist, denen die Belegschaft am ehesten zutraut eine ordnungsgemäße Wahl im Sinne aller durchzuführen – denn allein das ist der Zweck der Wahlversammlung – sondern die erste Belastungsprobe für diejenigen, die sich trauen ihren Betrieb zu demokratisieren.
Gerade die Pandemie bot hier eine besondere Angriffsfläche. Wahlversammlungen konnten (zurecht), anders als Betriebsversammlungen nicht digital durchgeführt werden. Das bedeutete, dass sich alle Beschäftigten des Betriebes in einem Raum treffen mussten. Und da sahen Arbeitgeber, die sich sonst nicht sonderlich viel für Arbeitsschutz interessierten, ihre große Gelegenheit zu intervenieren.
Uns stellte sich die Frage: Was nun? Abwarten, bis die Pandemie zu Ende ist? – können wir nicht, denn gerade jetzt braucht es ja eine gute Interessenvertretung. Wir waren natürlich auch selbst in Sorge um unsere eigene Gesundheit, sodass wir mit ausgefeilten Hygienekonzepten reagierten und riesige Räume anmieteten – aber dürfen wir das? Alle versammeln, wenn der Arbeitgeber doch alle streng in „Kohorten“ aufteilt?
Coronapandemie als besondere Herausforderung
Unsere Antwort war klar ja, denn Mitbestimmung ist wichtig. Zur gerichtlichen Klärung kam es zum Glück nicht. Anders als bei der medial viel besprochenen Wahlversammlung der Bank N26, die nur in gemeinsamer Anstrengung von mehreren DGB Mitgliedsgewerkschaften stattfinden konnte und an deren (beinahe-) Scheitern auch Gerichte beteiligt waren. Einen anderen Weg zur Bestellung gibt es nicht, denn § 17 BetrVG erlaubt nur dann eine gerichtliche Bestellung des Wahlvorstandes, wenn die Wahlversammlung trotz Einladung nicht stattfindet oder in ihr kein Wahlvorstand bestellt wird.
Einfach so, weil es eine Pandemie ist und wir uns alle besser nicht treffen sollten, kann man nach dem Wortlaut der Norm nicht zum Arbeitsgericht (Erfreulich aber insoweit das LAG Nürnberg in seinem Beschluss vom 11. März 2022 – 8 TaBV 25/21 –, Rn. 49, juris), das eine Wahlversammlung insoweit für verzichtbar hält). Das behebt der Reformvorschlag. Dieser Reformvorschlag ist weitsichtig, denn alles deutet daraufhin, dass mit dem voranschreitenden Klimawandel die Covid-19 Pandemie nicht die einzige Zoonose sein wird, die uns heimsucht.
Bisherige Rechtslage macht es Union-Bustern zu einfach
Noch schlimmer trifft es aber diejenigen mutigen Kolleg*innen, die sich einem ausgewachsenen Union-Buster entgegenstellen. Hier wird die Gründung eines Betriebsrats lange Zeit klandestin geplant – eine kleine Verbesserung bietet immerhin schon der Vorfeldkündigungsschutz – bis man sich an den Arbeitgeber wendet. Der stellt natürlich keinen Raum zur Verfügung, sondern bittet erstmal alle Beschäftigten einzeln zum Gespräch.
Die Einladung wird im Betrieb ausgehängt – aber die Drohungen des Geschäftsführers zeigen Wirkung – denn die Einladung wird kurz darauf wieder abgerissen. Voraussetzung für eine ordnungsmäße Wahlversammlung ist jedoch, dass diese Einladung hängt. Das Verhalten ist natürlich strafbar, aber das Anfechtungsverfahren interessiert sich nicht für Schuldfragen, sondern dafür, ob Verstöße gegen wesentlich Wahlvorschriften vorliegen; das spielt natürlich Union-Bustern in die Hände.
Auch hier zeichnet sich durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz wenigstens eine kleine Verbesserung ab, wenn nunmehr der Arbeitgeber wenigstens dann nicht anfechten kann, wenn er dem Wahlvorstand falsche Angaben gemacht hat – alles andere ist jawohl auch eine absolute Sauerei. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als die Einladung wieder auszuhängen. Was banal klingt, kann im Filialbetrieb auch mal einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, um das gesamte Stadtgebiet Berlins abzufahren.
Bösartige Arbeitgeber kapern die Wahlversammlung
Ist das geschafft, und der Raum auf Gewerkschaftskosten angemietet, kann die Wahlversammlung beginnen. Arbeitgeber wechseln hierfür häufig ihre Taktik – sollte die Wahlversammlung vorher noch verhindert werden, geht es jetzt darum möglichst viele betriebsratskritische Kolleg*innen zur Teilnahme zu bewegen. Die Wahlversammlung wird umfunktioniert. Nach dem Gesetz geht es nur um die Frage, wer Wahlvorstand wird, aber den Störer*innen geht es darum, grundsätzlich in Frage zu stellen, ob man denn überhaupt einen Betriebsrat braucht. Windige Arbeitgeber haben hier bereits einen Anwalt dabei, der erklärt, warum das Betriebsverfassungsgesetz nicht zum Betrieb passt, sondern neue, „schlankere“ Formen der Beteiligung gebraucht werden.
Das Quorum von mehr als 50 % wird genutzt, um ein Scheitern zu provozieren. Die mutigen Kolleg*innen werden als unwissende Querulant*innen dargestellt und im schlimmsten Fall scheitert die Wahl. Dies ist die erste wichtige Zerreißprobe und eine Niederlage in so einem frühen Stadium des Mutfassens fatal. Das BAG empfiehlt den Initiator*innen sogar ihre Initiative nochmal zu überdenken: „Wird von der Versammlung kein Wahlvorstand gewählt, so können die Gründe hierfür den Initiatoren der Betriebsratswahl auch Anlaß geben, nochmals zu überdenken, ob sie die Errichtung eines Betriebsrates weiterbetreiben wollen.“ (Beschluss vom 26. Februar 1992 – 7 ABR 37/91 –, BAGE 70, 12-19, BAGE 70 12-19, Rn. 20).
Klar – wurde kein Wahlvorstand gewählt, dann können wir jetzt zum Gericht gehen und einen einsetzen lassen. Aber ich würde diese erste Demütigung und das erste Scheitern gerne den mutigen Menschen ersparen, die die Kraft aufgebracht haben, einen Betriebsrat zu initiieren. Das Gesetz ist klar: In Betrieben mit in der Regel fünf Arbeitnehmer*innen werden Betriebsräte gewählt. Hier stellt sich die Frage des „Obs“ nicht. Mich hat einmal eine Kollegin, nachdem ich diesen Satz aus dem Betriebsverfassungsgesetz vorgestellt habe, ungläubig gefragt: „Aber wieso kann man dann Betriebsräte verhindern?“ Meine Antwort war: „Genau so, genau mit solchen Wahlversammlungen, die vom Arbeitgeber orchestriert völlig aus dem Ruder laufen.“
Warum eine Gesetzesänderung notwendig ist
Lasst uns zukünftig Kolleg*innen diese Demütigung ersparen und stattdessen auf die Möglichkeit zurückgreifen, den Wahlvorstand direkt vom Arbeitsgericht einsetzen zu lassen. Dafür brauchen wir aber eine Gesetzesänderung (Vorschlag des DGB). Diese zuletzt geschilderte Art von Wahlversammlungen sind nicht geeignet, dem Wahlvorstand das Vertrauen zur ordnungsgemäßen, demokratischen Durchführung der Wahl auszusprechen, sondern dienen allein dazu Angst und Schrecken zu verbreiten.
Die Einschätzung über den erwarteten Verlauf der Wahlversammlung beruht in der Regel auf Erfahrungswerten und vagen Prognosen. Deswegen muss die Möglichkeit zur direkten arbeitsgerichtlichen Bestellung voraussetzungslos bestehen.
Wir Gewerkschafter wissen, wie man tolle Wahlversammlungen macht, wir wissen aber auch, wann es zu unser aller Schutz das Beste wäre auf sie zu verzichten. Richtigerweise legt der Reformvorschlag deswegen die Entscheidung hierüber in unsere Hände – wir können damit verantwortungsbewusst umgehen.
Neueste Kommentare