von Micha Heilmann
Zwar schreibt das Betriebsverfassungsgesetz die Bildung von Betriebsräten vor (§ 1 BetrVG: „In Betrieben mit… werden Betriebsräte gewählt.“). Jedoch nimmt die Zahl der Menschen, die in Betrieben mit Betriebsräten arbeiten, ab. So arbeiteten im Jahr 2001 noch 50 % der Beschäftigten in Westdeutschland bzw. 41 % in Ostdeutschland in einem Betrieb mit Betriebsrat. 20 Jahre später war die Quote auf 39 % bzw. 34 % gesunken (Ellguth und Kohaut, Tarifbindung und betriebliche Interessenvertretung – Ergebnisse aus dem IAB-Betriebspanel 2021; WSI-Mitteilungen 2022, S. 332).
Diese Entwicklung hat mehrere Ursachen. Eine ist die Schwierigkeit, insbesondere in filialisierten Konzern z. B. des Einzelhandels oder der Gastronomie, Wahlvorstände zu bestellen. Dies liegt zum Teil an den kleinbetrieblichen Strukturen, zum Teil am Widerstand der Arbeitgeber. Bei der letzten größeren Reform der Wahlvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes (z. B. Einführung des vereinfachten Wahlverfahrens) im Jahr 2001 wurde den Gesamt- bzw.- Konzernbetriebsräten das Recht zugestanden und die Pflicht auferlegt, in betriebsratlosen Betrieben Wahlvorstände zu bestellen. Dies setzt in der Praxis natürlich voraus, dass die Beschäftigten vor Ort gefunden werden, die bereit sind, die Aufgabe zu übernehmen. Das es dazu zunächst Informationsveranstaltungen bzw. Betriebsversammlung im betriebsratslosen Betrieb bedarf und die Beschäftigen zu informieren bzw. zu motivieren. Liegt in der Praxis auf der Hand.
Diesen Teil der Erleichterung der Betriebsratswahl aus dem Jahr 2001 hat die restriktive Rechtsprechung des 7. Senats (Beschluss vom 16.11.2011 – 7 ABR 28/10) in der Praxis – entgegen der Idee des Gesetzgebers, wesentlich erschwert. Ist der Senat doch der Auffassung, der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat habe nicht das Recht, Informations- und / oder Belegschaftsversammlungen durchzuführen, um über die Betriebsratswahl zu informieren bzw. dort Kandidaten für den Wahlvorstand zu finden. Wie der Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat in Betrieben, deren Beschäftigte er nicht kennt und die ihn nicht kennen Kandidat*innen für den Wahlvorstand ohne solche Versammlungen finden soll, blieb und bleibt das Geheimnis der damaligen Entscheidung und des Senats.
Daher sieht der DGB-Entwurf (§ 17 Abs. 1 a bis 1 c BetrVG) nun ausdrücklich vor, dass Gesamt- oder Konzernbetriebsrat zweimal im Jahr das Recht haben, eine Betriebsversammlung in betriebsratslosen Betrieben durchzuführen. Zweck ist dabei nicht die direkte Wahl des Wahlvorstandes auf der Versammlung, sondern zunächst eine reine Information und Aufklärung über Aufgaben und Rechte eines Betriebsrates. Ziel ist es auch Interessenten für den Wahlvorstand und den Betriebsrat zu gewinnen. Ebenso kann, so der Entwurf, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft hierzu einladen. Ausdrücklich sieht der Gesetzentwurf nun vor, dass der Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat das Recht hat die Arbeitnehmer*innen des betriebsratslosen Betriebs aufzusuchen, um die Betriebsratswahl bzw. die Bestellung des Wahlvorstandes vorzubereiten. Würde der Entwurf Gesetz, wäre in diesem Punkt die Idee, die der Reform der Betriebsverfassung 2001 zugrunde lag, wieder mit Leben gefüllt. Praktische Fortschritte bei der Erleichterung der Betriebsratswahl sind offensichtlich manchmal nur im Schneckentempo zu haben.
Es kann nicht nur darum gehen, solche Regelungen in ein neues BetrVG aufzunehmen, die es dem Gesamt- oder Konzernbetriebsrat ermöglichen, die Voraussetzungen für eine erstmalige oder eine Neuwahl eines Betriebsrates zu schaffen. Vielmehr müssen Betriebsräte bzw. Wahlvorstände berechtigt sein, nicht nur einen Anwalt oder eine Gewerkschaftssekretärin sondern auch Mitglieder des Gesamt- bzw. des Konzernbetriebsrat zur Organisation und Durchführung einer Betriebsratswahl beratend und unterstützend hinzu zu ziehen.
So hat z.B. eine rechtliche Auseinandersetzung um die Unterstützung der ersten Wahl eines Betriebsrates für die aw-culinawo-service GmbH im AWO-Seniorenzentrum Hemer durch den Konzernbetriebsrat des AWO-Bezirks Westliches Westfalen e.V. eine Regelungslücke im Betriebsverfassungsgesetz offengelegt.
Der Konzernbetriebsrat hatte ein erfahrenes Mitglied mit der Beratung und Begleitung des Betriebsrates, dessen erste Wahl für rechtsunwirksam erklärt worden war, sowie des von diesem Betriebsrat bestellten Wahlvorstandes beauftragt. Sowohl der Betriebsrat als auch der Wahlvorstand hatten den Konzernbetriebsrat dringlichst um Unterstützung gebeten, um auf diese Weise eine rechtssicherere Neuwahl zu ermöglichen. Sie selbst hatten sich aufgrund komplexer Problemlagen und trotz ihrer Teilnahme an einem Wahlvorstandsseminar mit dieser Aufgabe persönlich überfordert gesehen. Die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwaltes als Sachverständigen durch den Wahlvorstand wären nach eigenen Aussagen des Arbeitgebers nicht getragen worden. Die zuständige Sekretärin der Gewerkschaft ver.di war aufgrund der Vielfalt ihrer Aufgaben mit der Begleitung und Beratung zeitlich überfordert.
Leider fehlt im BetrVG eine Regelung, die es Gesamt- und Konzernbetriebsräten grundsätzlich erlaubt, auf Anforderung eines Betriebsrates bzw. Wahlvorstandes Beratungs- und Unterstützungsaufgaben wahrzunehmen. Dies hat dazu geführt, dass das Arbeitsgericht Herne und in Folge das Landesarbeitsgericht Hamm den Anspruch des Kollegen auf Bezahlung von Arbeitszeit in Höhe von ca. 1.200 €, die das KBR-Mitglied für die Beratung und Unterstützung des Betriebsrates und des Wahlvorstandes während seiner persönlichen Arbeitszeit aufgewandt hatte, ablehnten.
Übrigens: Die Neuwahl des Betriebsrates hat ohne einen solchen Mangel geendet, der eine erneute Anfechtung der Wahl ermöglicht hätte.