von Rudolf Buschmann, Lehrbeauftragter Universität Kassel, Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH

 

Nach dem Urteil des EuGH (Gr. Kammer) ccoo / Dt. Bank Spanien[1] verpflichten Art. 3, 5 und 6 der (Arbeitszeit-)Richtlinie 2003/88/EG im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU sowie Art. 4 Abs. 1, 11 Abs. 3 und 16 Abs. 3 der (Arbeitsschutzrahmen-)RL 89/391/EWG die EU-Mitgliedstaaten zur Einrichtung eines Systems, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Deutschland hat bis zum Jahr 2024 keine besonderen Schritte zur gesetzlichen Umsetzung dieser europäischen Verpflichtung unternommen. Nach diesem Urteil wurde in Deutschland heftig diskutiert,

  1. ob Arbeitgeber deshalb heute schon, d.h. ohne weitere nationale Gesetzgebung, zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind, oder
  2. ob es erst einer besonderen gesetzlichen Novellierung bedarf, um eine solche Verpflichtung zu schaffen.

 

Die Lösung ergibt sich aus dem Arbeitsschutzgesetz in Verbindung mit dem Initiativrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.

 

Arbeitszeiterfassung ist gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers

 

Nach § 3 des Arbeitsschutzgesetzes ist nämlich jeder Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Zu diesen wesentlichen Arbeitsbedingungen gehört die Gestaltung der Arbeitszeit.

 

In unionsrechtskonformer Auslegung[2] leitet deshalb der 1. Senat[3] des Bundesarbeitsgerichts aus § 3 ArbSchG zutreffend die Verpflichtung des Arbeitgebers ab, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Diese gesetzliche Verpflichtung ist nicht abhängig von einer Initiative des Betriebsrats, auch betriebsverfassungsrechtlich unverzichtbar und schließt als vorrangige gesetzliche Regelung betriebliche Mitbestimmung über das „ob“ aus. Die Ausfüllung dieser Verpflichtung erfolgt dann mitbestimmt nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften).

 

Wie das LAG München festgestellt hat, kann der Betriebsrat in diesem Rahmen sein Initiativrecht wahrnehmen und die Einigungsstelle anrufen, um eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung durchzusetzen.[4] Diese kann auch elektronisch erfolgen. Ausgeschlossen ist nur ein Ergebnis des Mitbestimmungsverfahrens, dass die Arbeitszeit gar nicht erfasst werden soll. Unabhängig davon ist eine Arbeitszeiterfassung – auch bei sog. Vertrauensarbeitszeit – schon deshalb erforderlich, um die Informationsansprüche des Betriebsrats über die geschuldeten und die tatsächlichen Arbeitszeiten zu erfüllen.[5] (Zur Vertrauensarbeitszeit und Arbeitszeiterfassung vgl. auch DKW-Klebe, § 87 BetrVG, Rn. 100)

 

[1] EuGH (Gr. Kammer) 14.5.2019, C-55/18, Comisiones Obreras (ccoo) / Dt. Bank, Anhang G.

[2] Bezug auf EuGH ccoo 14.5.2019 a.a.O.

[3] BAG 13.9.2022 – 1 ABR 22/21, AuR 22, 490.

[4] LAG München 11. 7. 2022 – 4 TaBV 9/22, AiB 2023, Nr 1, 34, NZB zurückgewiesen durch BAG 15. 11. 2022- 1 ABN 68/22.

[5] BAG 6. 5. 2003, AuR 2004, 70 (Krabbe-Rachut) zur „Vertrauensarbeitszeit“; dem folgend: LAG Niedersachsen 8. 11. 2004 – 5 Ta BV 36/04; LAG Köln 6. 9. 2010 – 5 Ta BV 14/10, AuR 2011, 266, NZB verworfen durch BAG 16. 3. 2011 – 1 ABN 78/10.