Die Europawahl am 9. Juni steht unmittelbar vor der Tür. Entgegen weit verbreiteter Meinungen geht es auch für die Beschäftigten um viel. Europa prägt unseren Alltag mehr, als viele denken und besonders im Bereich des Arbeitsrechts kommen viele Entscheidungen inzwischen aus Europa. Oft zum Vorteil der Beschäftigten. Verständlich, dass ein Betriebsrat die Belegschaft dazu ermutigen möchte, zur Wahl zu gehen. Aber darf er das?

 

von Dr. Till Bender, DGB Rechtsschutz GmbH

 

Ob am schwarzen Brett oder im firmeneigenen Intranet: dem Betriebsrat sind Möglichkeiten zu schaffen, direkt mit der Belegschaft zu kommunizieren. Unproblematisch ist das vor allem, wenn der Betriebsrat über die eigenen Aktivitäten informiert. Aber viele Betriebsräte nutzen diese Möglichkeit, über allgemeinpolitische Dinge wie beispielsweise die anstehende Europawahl zu informieren.

 

Das Verbot der parteipolitischen Betätigung

 

Die Betriebsverfassung regelt in § 74 Abs. 2 Satz 3, dass Arbeitgeber und Betriebsrat jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen haben. Aber was bedeutet das konkret?

 

Das Bundesarbeitsgericht tendiert in seiner neueren Rechtsprechung dazu, nicht mehr wie früher jede allgemeinpolitische Betätigung hierunter zu fassen. Nunmehr soll nicht mehr jede „Äußerung allgemeinpolitische Art“ unter das Verbot fallen (DKW-Berg, § 74, Rn. 52f.). Dabei hat das Bundesarbeitsgericht offengelassen, ob das Eintreten für oder gegen eine politische Richtung unabhängig von einem konkreten Bezug zu einer politischen Partei unter dieses Verbot fällt (DKW-Berg, a.a.O.).

 

Der Aufruf zu einer Wahl ist aber gerade kein Eintreten für oder gegen eine politische Richtung, er will vielmehr nur die Grundlage dafür schaffen, dass sich die Belegschaft mit den politischen Richtungen der zur Wahl stehenden Parteien auseinandersetzt und von ihrem aktiven Wahlrecht Gebrauch macht. Deswegen ist der Aufruf an die Belegschaft, an einer politischen Wahl teilzunehmen, keine parteipolitische Betätigung.

 

Reformentwurf stärkt Demokratie im Betrieb

 

Der Aufruf, an einer Wahl teilzunehmen ist vielmehr Ausdruck eines allgemeinen politischen Engagements, wie sie auch im Betrieb möglich sein muss. Weder das Betriebsratsmitglied noch die:der Mitarbeiter:in hören mit Durchschreiten des Werkstores auf, mündige Bürger:in zu sein.

 

Der Reformentwurf des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften greift das Leitbild des „Staatsbürgers im Blaumann“ auf. Beispielsweise, indem er in § 82a BetrVG klarstellt, dass das Recht auf Meinungsfreiheit auch im Betrieb gilt oder durch die Einführung einer Demokratiezeit im Betrieb (siehe auch Artikel: Demokratiezeit: Brauchen wir das?).

 

Verboten sein soll nur Werbung zugunsten politischer Parteien

 

Und auch für den konkreten Fall der parteipolitischen Betätigung hat der Entwurf eine konkrete Verbesserung parat. Er will die bisherige Formulierung „parteipolitische Betätigung“ ersetzen durch die Formulierung „Werbung zugunsten politischer Parteien“. Damit wird klargestellt, dass der Betriebsrat nicht nur zur Europawahl oder einer anderen Wahl, die die Belegschaft betrifft, aufrufen darf, sondern sich zugleich für eine politische Richtung oder Grundüberzeugung einsetzen kann.

 

Dies muss sicher umso mehr gelten, wenn diese Grundüberzeugungen in der Betriebsverfassung selbst angelegt sind, beispielsweise die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter, die Integration ausländischer Arbeitnehmer:innen sowie Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (§ 80 BetrVG-E).

 

Eine Grenze ist nach diesem Konzept erst überschritten, wenn der Betriebsrat Werbung für eine konkrete Partei über die im Betrieb zur Verfügung stehenden Medien verbreitet.

 

Zum Weiterlesen:

 

Informationen des DGB zur Europawahl

 

Informationen des Europäischen Parlaments zur Europawahl

 

Wahl-O-Mat