Nicht einmal die Hälfte der Beschäftigten werden durch Betriebsräte vertreten. Deshalb muss es leichter werden, sie zu gründen. Der DGB Entwurf macht hierzu Vorschläge.
von Prof. Dr. Michael Kittner, Hanau
Der DGB-Entwurf zu einem neuen Betriebsverfassungsgesetz handelt vor allem davon, Betriebsräte mit zeitgemäßen Instrumenten auszustatten. Sei es, durch Anpassung der vorhandenen an neue Herausforderungen, sei es durch neue Beteiligungsrechte. Darüber darf aber ein ganz fundamentaler, ja geradezu vorrangiger Aspekt, nicht aus dem Auge verloren werden: Was nutzen bessere Rechte, wenn es immer weniger Betriebsräte gibt, die sie nutzen?
Nur noch 40 % der Beschäftigten haben einen Betriebsrat
Die Entwicklung in dieser Hinsicht ist besorgniserregend: Inzwischen werden nur weniger als 40% aller Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft durch Betriebsräte vertreten.
Und diese bereits langanhaltende Abwärtsbewegung scheint nicht gestoppt werden zu können. Was das bedeutet, ist so einfach wie dramatisch: Mehr als 60 % der Arbeitnehmer sind zur Durchsetzung ihrer Rechte in einem laufenden Arbeitsverhältnis auf sich allein gestellt, von zusätzlichem Schutz ganz zu schweigen.
Und das heißt auch: Wo es keinen Betriebsrat gibt, wird es immer schwerer für eine Gewerkschaft, in diesem Betrieb Fuß zu fassen. Die sinkende Betriebsratsabdeckung geht Hand in Hand mit sinkender Tarifbindung.
DGB-Entwurf: Arbeitgeber muss zur Betriebsversammlung einladen
Der DGB-Entwurf nimmt sich auch dieses Problems an: Er schlägt unter anderem vor, Betriebsratswahlen zu erleichtern und Initiatoren von Betriebsratswahlen besser zu schützen. Interessant ist eine dem Öffentlichen Dienst nachgebildete Vorschrift, wonach der Arbeitgeber in einem betriebsratslosen Betrieb verpflichtet wird, einmal im Jahr zu einer Betriebsversammlung einzuladen und dort über die Möglichkeit einer Betriebsratswahl zu informieren (§ 17 Abs. 1c).
Ängstliche könnten fürchten, dass der Arbeitgeber das nutzen könnte, um einen gefügigen Betriebsrat ins Leben zu rufen. Davon sollte man sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Denn ist erst einmal diese erste, schwerste Hürde genommen, liegt es an der (von der Gewerkschaft unterstützten!) Belegschaft, in den nächsten Wahlen für die „richtige“ Besetzung dieses Gremiums zu sorgen.
Dazu im Übrigen: Man muss nicht darauf warten, mehr für neue Betriebsräte zu tun, bis dieser Entwurf Gesetz geworden ist. Und das tun die Gewerkschaften natürlich auch nicht. Dazu ein kleiner praktischer Vorschlag: Auch schon ohne Gesetzesänderung könnten erfahrene Betriebsratsmitglieder aus anderen Betrieben am Ort, vielleicht jung gebliebene Ehemalige, mit ihren Erfahrungen bei einer Betriebsratsgründung helfen: Als eine Art „business angels“, wie das frühere Manager für „start ups“ erfolgreich vormachen.
Eine Verbesserung der betrieblichen Interessenvertretung durch Stärkung von Betriebsräten und einer Erleichterung ihrer Gründungen ist sicherlich dringend geboten.
Die Globalisierung bringt es mit sich, dass sowohl bei Arbeitgebervertreter:innen aber auch bei vielen Kolleg:innen (insbesondere mit Migrationshintergrund) Arbeitnehmer:innenrechte und die rechtlichen Grundlagen der Interessenvertretung “kulturell” nicht verinnerlicht sind.
Deshalb bräuchten wir eigentlich ein “Interessenvertretungsstärkungsgesetz”, das insbesondere auch den Gewerkschaften neue Spielräume (und Finanzen) verschafft, um wirkungsvoll auch in Unternehmen/Betrieben mit einer schwierigen Ausgangslage erfolgreich zu sein. Interessenvertretung sollte flächendeckend gestärkt werden und darf nicht von der Widerstandsfähigkeit einzelner motivierter Kolleg:innen in häufig nicht mehr menschengerechten Unternehmen abhängig sein, die sich gegen die Interessen der Belegschaft, Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Wir haben es insgesamt mit einer schwierigen Gemengelage zu tun. Betriebsräte – Gesamtbetriebsräte- Konzernbetriebsräte, Euro- und auch WeltBRs haben immer den Blick auf den eigenen “Laden”. Unternehmen arbeiten jedoch entlang von Wertschöpfungsketten. Die Arbeitsbedingungen in einem Standort/Werk/Unternehmen hängen zumindest mittelbar mit den Arbeitsbedingungen der Lieferanten oder weiterverarbeitenden Unternehmen zusammen. Ein Beispiel: Darf ein tarifgebundenes Unternehmen den Preis für Waren des Lieferanten soweit drücken, dass dort gerade mal ein Mindestlohn gezahlt werden kann? Oder darf es Clickworker “beschäftigen? Ich finde es schwierig, die von uns formulierten hohen Ansprüche an Gute Arbeit auf das eigene Unternehmen zu beschränken. Das BetrVG gibt hier keine Antwort.
Aus meiner Sicht liegt es nur zu einem kleinen Teil am Wahlverfahren, dass so wenig BRs gegründet werden. Es liegt meines Erachtens eher an der Stigmatisierung, den man als BR im Unternehmen erleidet. Denn eine echte Karriereplanung ist damit oft vom Tisch. Dazu kommt noch die Stagnation bei der Bezahlung. Die Herausforderungen und auch die Verantwortung, die man als BR und auch aus BR-Vorsitzender hat entsprechen in keiner Weise der Bezahlung im ursprünglichen Job – außer man wechselt vom Management zum BR, aber wer macht das schon.
Solange das BR-Amt nicht attraktiver gestaltet wird, werden sich auch in Zukunft nicht mehr Beschäftigte dafür entscheiden.
Ich halte eine Überarbeitung des Wahlverfahrens für dringend geboten. Die Mitarbeiter wünschen sich eigentlich die Mehrheitswahl. Die Priorisierung der Verhältniswahl entspricht nicht dem Wunsch der Mitarbeiter. Die Verhältniswahl ist aber notwendig, damit Minderheiten im Betrieb auch eine Chance bekommen, in den BR gewählt zu werden. Ich schlage hier eine Mischung aus beiden Formen vor. Das bayerische Kommunalwahlrecht kann hier als Vorlage dienen. Die Bewerber können sich auf Listen zur Wahl stellen. Die Wähler können wie bei der Mehrheitswahl so viele Kandidaten wählen, wie BR-Mandate vergeben werden, oder Alternativ auch ein “Listenkreuz” vergeben. Die Listen erhalten nach D’Hondt so viele Sitze im Gremium, wie sie Stimmen insgesamt erhalten haben. Die Platzierung der Bewerber auf der Liste rückt aber in den Hintergrund. Hier zählen dann die Stimmen, die der Einzelne jeweils bekommen hat. Beispiel: Liste 1 erhält nach der Anzahl ihrer Gesamtstimmen 3 Sitze im Gremium. Die 3 Wahlbewerber von Liste 1 mit den meisten Stimmen werden BR-Mitglied, die anderen auf der Liste in der Reihenfolge ihrer Stimmen bilden die Ersatzmitglieder. Mit diesem Verfahren vereint man die Verhältniswahl mit der Mehrheitswahl. Die Belegschaft kann sich ihren Wunsch-BR zusammenwählen und Minderheiten haben auch eine Chance. Man kann auch ein Listenkreuz vergeben und so (Rest-)Stimmen einer Liste zukommen lassen. Die Verteilung erfolgt dann von Listenplatz 1 nach unten, bis keine (Rest-)Stimmen mehr übrig sind.